Leserreise Norwegen

Unser Mitglied Renate Schüller ist regelmäßig mit ihrer SY Seewolf in Skandinavien unterwegs und wird dabei auch gerne von anderen Vereinsmitgliedern begleitet. Die Zeitschrift „Segeln“ hat jetzt einen Bericht über ihren letzten Sommer-Törn nach Norwegen veröffentlicht.

Leserreise 2017

FJORDE & MEER

Drei Monate Segelsommer: segeln-Leserin Dr. Renate Schüller tat, wovon viele nur träumen und segelte mit ihrer Hallberg-Rassy 42F bis nach Norwegen.

Text und Fotos: Dr. Renate Schüller

Der Sommertörn 2017 soll mich nach Norwegen führen. Norwegen,
das Land der Wikinger – Heimat der Nordlichter und der Mitternachtssonne. Land der Fjorde, Berge, Gletscher und Wasserfälle. All das möchte ich erkunden. Und zwar nicht auf dem Landwege, sondern mit dem Segelboot.

Ich habe mit Seewolf, einer Hallberg-Rassy 42F, ein zuverlässiges und komfortables Schiff zur Verfügung und ein großzügiges Zeitfenster von drei Monaten. Dazu eine Reihe netter Segelfreunde, die mich auf den verschiedenen Etappen begleiten wollen.

Start ist Anfang Juni auf Fehmarn. Die Nächte sind noch kalt – die Tage auch. Bagenkop, Korsør, Samsø. Grenaa, Hals. 205 Seemeilen in fünf  agen. Es läuft gut. Der Wind nimmt zu bis auf Sturmstärke und verwandelt den Limfjord in einen Hexenkessel. Wir legen einen Hafentag ein und relaxen.

Auf nach Norwegen
Mit neuer Crew wollen wir den langen Schlag hoch nach Norwegen machen. Doch zunächst müssen wir den Limfjord von Ost nach West durchfahren. Das sind 60 Seemeilen Tonnenstrich bei schwülem sonnigen Sommerwetter und Seehunden auf Steuerbord. Aber aufgepasst! Wo die Seehunde sind, ist es flach – sehr flach! Nach einem stürmischen Zwischenstopp in Nykøbing/Mørs dann noch einmal 35 Seemeilen auf der Kreuz bei Wind vier bis sechs Beaufort gegenan bis nach Thyborøn auf der Westseite des Limfjords. Zwei Stunden Pause, Mittagessen, etwas ausruhen. Dann legen wir wieder ab. Ziel Egersund, Norwegen. Schon bei der Ausfahrt aus dem Limfjord haben wir sehr unruhiges Wasser und ordentlich Gegenströmung. Hinter den Molenköpfen schlägt das Universum dann erbarmungslos zu. Das Meer ist noch aufgepeitscht von dem gestrigen Sturm. Eine extreme Kreuzsee macht Seewolf zum Spielball der Naturgewalten. Es ist ein Rodeoritt durchs Wasser. Keine Chance, das Schiff einigermaßen vernünftig zu steuern. Wir haben verstanden, kehren um und fahren zurück in den sicheren Hafen von Thyborøn. Am nächsten Tag ist es besser. Der Wind weht nur noch mit vier bis fünf Beaufort aus West, die See ist immer noch sehr unruhig, aber beherrschbar, und wir können hart am Wind Kurs Egersund anlegen. 130 Seemeilen liegen vor uns, ein sonniger Tag und eine kalte Nacht auf See. Es wird eine flotte, aber  anspruchsvolle Überfahrt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 6,5 Knoten über Grund. Um 23.30 Uhr sehen wir Kap Lindesness auf Steuerbord querab. Weiter geht es durch die Nacht, in der es so kurz vor Mittsommer nicht mehr ganz dunkel wird.  Morgens um acht Uhr erreichen wir Egersund und machen Seewolf im sicheren Hafen fest. Norwegen, hier sind wir – nun kann es weiter gehen.

12 Grad und Regen
Nein, so haben wir uns den norwegischen Sommer nicht vorgestellt. Die Temperaturen bewegen sich bei konstanten zwölf Grad Celsius, es schüttet wie aus Eimern, und der Wind macht, was er will. Weht entweder gar nicht oder zu stark, aber jedenfalls immer von vorne. Die Webasto-Standheizung läuft im Dauerbetrieb und das Early-Morning-Coffee-Meeting wird zum Ritual: Lagebesprechung in der Kommandozentrale in der Achterkabine. Stavanger im Regen, Leirvik im Regen, Bergen im Regen. Die schöne Landschaft, die wir im Dunst und Nebel nur erahnen können, strahlt uns in den Häfen auf bunten Hochglanzbroschüren entgegen. Nach zwei Tagen Dauerregen in Bergen kommt er endlich: der norwegische Sommer. Blauer Himmel, Sonne, Temperatur um 24 Grad, grandiose Landschaften, toller Segelwind. Ja, so haben wir uns das vorgestellt. So kann es bleiben.

Ein idyllischer Liegeplatz auf dem Weg von Bergen zum Hardangerfjord.

Fjord-Segeln
Segeln in den norwegischen Fjorden – das ist ein ganz spezielles Thema. Das heißt, eigentlich ist es gar kein Thema, denn in den norwegischen Fjorden gibt es fast keine Segler. Im Grunde kann man hier gar nicht segeln. Meistens gibt es keinen Wind, denn die hohen Berge halten den Wind ab. Und wenn dann doch einmal Wind da ist, dann folgt er exakt dem Verlauf des Fjords und kommt entweder genau von vorne oder genau von achtern, und zwar egal in welche Richtung man gerade fährt. Und weil er dann auch noch vor und hinter jeder Kurve seine Stärke ändert, muss man in den Fjorden auch bei Wind meistens motoren. Der Strom kommt sowieso immer mit ein bis zwei Knoten von vorne.

All das schreckt uns aber nicht ab. Mit neuer Crew machen wir uns auf zum Sognefjord und fahren am ersten Tag von Bergen durch den Herdlefjord zur Insel Fedje. Am nächsten Tag geht es bei vier bis fünf Beaufort Wind aus Süd unter Segeln und flotter Fahrt in den Sognefjord. Herrlich. Wenn es nur nicht so viel regnen würde! Der aufgespannte Regenschirm bietet dem Rudergänger nur eingeschränkten Wetterschutz. Teils unter Segeln, teils unter Motor, geht es am nächsten Tag weiter durch den Sognefjord bis hinein in den engen Fjærlandsfjord. Im Hintergrund sehen wir in der Sonne schon den Jostedalsbreen, den größten Gletscher des europäischen Binnenlandes. Am Ende des Fjords liegt der kleine malerische Ort Fjærland, eingebettet in eine traumhafte Landschaft am Fuße des Gletschers. Hier machen wir fest und verleben in einer Bilderbuchlandschaft zwei perfekte Sommertage, wie sie besser nicht sein könnten. Besuch des Gletschermuseums, Ausflug zu den Gletschern, Wanderung zu den Wasserfällen mit Picknick in der unberührten Natur, Kaffeetrinken im traditionsreichen Hotel Mundal, und in der Abendstimmung posieren Seewolf und ich als Fotomotiv für die koreanischen Touristen. Auf dem Rückweg nach Bergen haben wir zwar wieder Regen, aber auch noch einmal perfekte Segelbedingungen. Wind drei bis vier Beaufort und Sonne. Wer sagt eigentlich, dass man in den norwegischen Fjorden nicht segeln kann?

Egal beim welchem Wetter: Das Eis schmeckt immer, wie hier in Korshavn.

Segeln und Wandern
Für unsere Landausflüge im Hardangerfjord benötigen wir feste Wanderschuhe, denn unser leichtes Schuhwerk hat schon die erste Wanderung auf den Hausberg von Rosendal nicht überstanden. Mit neuem Schuhwerk wandern wir am nächsten Tag von Sundal bis zum Gletschersee Bondhusvatnet, wo wir einen herrlichen Blick auf den Folgsfonn-Gletscher haben. Das bisschen Nieselregen auf dem Rückweg nehmen wir schon gar nicht mehr wahr. Von Rosendal segeln wir über Haugesund nach Stavanger, wo wir bei herrlichem Sommerwetter den berühmten Preikestolen erklimmen. Ein grandioser Blick von dem atemberaubenden Felsplateau auf den tief unter uns liegenden Lysefjord belohnt uns für die Mühen des Aufstiegs. Einfach großartig. Den kulinarischen Höhepunkt des Törns erleben wir in Korshavn. Hier gibt es frische ‚crabs‘ zu kaufen. Die vermeintlichen Nordseekrabben entpuppen sich dabei als Wollhandkrabben. Der Sohn des Fischers meint es gut mit uns und liefert uns für zehn Euro eine riesige Plastiktüte mit circa 25 bis 30 dieser handtellergroßen Krustentiere. Die Pantry mutiert zur Großküche und im Cockpit wird die Werkzeugkiste bereit gestellt. Mit scharfen Messern, Wasserpumpenzange, Spitz- und Flachzange gehen wir mehr oder weniger fachmännisch zu Werke, um die harten Panzer und Scheren zu knacken. Die sterblichen Überreste unseres Festschmauses werden am nächsten Tag vor Kap Lindesness einer würdevollen Seebestattung zugeführt. Von Mandal nach Kristiansand wollen wir noch einmal richtig schön segeln. Aber aus angesagten drei bis vier Beaufort am Wind werden fünf bis sechs Beaufort gegenan bei hackiger See, Nebel und Dauerregen und so bleiben uns nur die letzten sechs Seemeilen Genusssegeln unter Genua in der Sonne.

Abendstimmung in Korshavn: Norwegens Süden zeigt sich von seiner schönsten Seite.

Die Riviera am Skagerrak
Die neue Crew hatte versprochen, die Sonne mitzubringen. Die haben sie aber zunächst gut in ihrem Gepäck verstaut. Denn bei ihrer Ankunft in Kristiansand regnet es in Strömen. Und der Wind schiebt die Wellen in die Hafenbucht, wo sie unkontrolliert brechen. Der Beton-Schwimmsteg und Seewolf tanzen um die Wette. Leider nicht im Gleichtakt und es bleibt offen, wer wen geküsst hat. Fakt ist jedenfalls, dass aus einer Leine zwei werden, der Betonsteg unversehrt bleibt und Seewolf am Bug mit einem kleinen Andenken an Norwegen nach Hause kehren wird. Es folgen schöne Segeltage bei überwiegend freundlichem Sommerwetter. Lillesand, Arendal, Risör, Kragerö – hier ist sie, die Riviera des Skagerrak: malerische weiße Orte, einer schöner als der andere. Schmucke Holzhäuser und stolze Villen, ganz in weiß. Enge Kopfsteinpflastergassen, großartige Promenaden und Badestrände. In Tvedestrand werden wir Opfer unserer fehlenden Norwegisch-Kenntnisse und ziehen am Automaten für 200 Norwegische Kronen ein Parkticket für Seewolf. Wir könnten ihn jetzt bis zum nächsten Morgen auf dem Parkplatz abstellen. Gut, dass der Hafenmeister ein Einsehen hat. Risör, ebenfalls eine der ‚Perlen des Südens‘ empfängt uns mit strömendem Regen und sechs Beaufort im übervollen Hafenbecken, wo wir den Nachmittag schaukelig im Vierer-Päckchen abwettern. Schade auch für die prachtvollen Holzboote, die sich hier zum alljährlichen Holzboote-Festival präsentieren. Gerne hätten wir sie uns näher angeschaut. Das Wetter bleibt abwechslungsreich. Sonnen- und Regentage wechseln einander ab, Flaute, Segelwind und Sturm auch. Wir wettern ab, wo es geboten ist und wenn wir segeln können, genießen wir die schöne Landschaft Südnorwegens. In Aarsgardstrand besichtigen wir das Sommerhaus des berühmten norwegischen Malers Edvard Munch. Von dort ist es nur noch eine Tagesetappe bis nach Oslo. Seewolf bekommt einen tollen Liegeplatz im Königlich Norwegischen Segelclub und aus der Segelcrew werden Sightseeing-Touristen.

1 – 2 – 3 – im Sauseschritt
Oslo – Göteborg: knapp 200 Seemeilen in nur vier Tagen. Da muss man schon mal ordentlich auf die Tube drücken. Und so steht dieser Überführungstörn mit neuer Crew ganz im Zeichen des sportlichen Segelns. Wir verlassen Oslo am frühen Morgen und frühstücken auf See, solange es noch windstill ist. Glatte See, Sonne, zwei Fähren und ein paar Frachter, alles kein Problem. Der Wind frischt auf bis fünf Beaufort, wir kreuzen gen Süden und fahren dabei eine inoffizielle Regatta mit einer Schweizer Segelyacht. Mit gerefften Segeln schießt Seewolf mit bis zu 7,5 Knoten über Grund durch die zum Teil kabbelige Kreuzsee. Nach 68 Seemeilen erreichen wir Frederikstad kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Das war doch schon mal ein guter Anfang! Unsere Königsetappe führt uns von Fjällbacka ins schwedische Segelzentrum Marstrand. Bei vier bis sechs Beaufort Wind aus Südwest, in Böen sieben Beaufort, wählen wir den Weg durch das geschützte Schärenfahrwasser. Hier ist die See ruhig und wir genießen es, nur unter Genua an den unzähligen Inseln und den vielen kleinen Ortschaften mit ihren roten Holzhäusern flott, aber ruhig vorbei zu segeln, während es nur einige Seemeilen weiter draußen auf offener See kachelt. Unter Motor fahren wir durch den engen Sotenkanal und kreuzen dann weiter durch die Schären. Wir segeln wie die Teufel, in der Spitze mit 9,4 Knoten durchs Wasser. Ein perfekter Segeltag. Am nächsten Tag verlassen wir Marstrand durch den engen Albrektssundkanal, kommen noch dicht an einer Seehundkolonie vorbei und gleiten zum Abschluss dieser Teiletappe nur unter Genua bis ins Zentrum von Göteborg, in den Gästehafen ‚Lilla Bommen‘.

Schwedische Westküste: Geschützt führt die Route durch den knapp fünf Kilometer langen Sotenkanal.

Endspurt
Mittlerweile ist es Ende August, und der Segelsommer neigt sich dem Ende zu. Mit der letzten Crew machen wir Inselhopping: Donsø, Læsø, Samsø, Lyø. Bei herrlichem Spätsommerwetter genießen wir die Ruhe der Nachsaison. Auf dem Weg von Middelfart nach Lyø ändert der Wind ständig seine Richtung und wir gefühlt mindestens zehn Mal unser Tagesziel. Immer wenn wir gerade unser Ziel dem Wind angepasst haben, dreht er wieder; und weiter geht es gegenan. Wir kreuzen so lange hart am Wind, bis der Lautsprecher im Mast seine Feststellschraube verliert und nur noch am Stromkabel hängend bei jeder Wende gegen den Deckstrahler schlägt. Das Kabel hält durch – oh Wunder – der Deckstrahler nicht ganz – kein Wunder – und die Skipperin kann sich auf Lyø mal wieder in den Mast hoch ziehen lassen, um Lautsprecher und Deckstrahler fachmännisch mit der großen Schere zu demontieren. Am nächsten Morgen ist plötzlich der Herbst da. Regen, Nebel, Dunst und kein Wind. Unter Motor geht es von Lyø zurück nach Fehmarn, wo wir den Segelsommer 2017 beenden.